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Interview: Corona-Krise trifft die Schifffahrt spürbar

Wie stark sind die Auswirkungen auf die Schifffahrt? Welche Märkte sind besonders betroffen, was sind die größten Herausforderungen und wie kann es weitergehen? Wir haben dazu mit unserem Schifffahrtsexperten und Studiengangsleiter des MSc Business Development, Professor Dr. Max Johns, gesprochen.

Ist die Corona-Krise in der Schifffahrt spürbar?

Ja, sie ist natürlich stark spürbar. Aber das Bild ist sehr unterschiedlich je nach Schiffstyp und Segment. Besonders drastisch ist die Kreuzfahrtindustrie getroffen, die quasi über Nacht den Betrieb vollständig einstellen musste. Hunderte Kreuzfahrtschiffe werden gerade aufgelegt und suchen nach Plätzen, an denen sie auf das Ende der Krise warten können. Ähnlich strak hat es die Fähren getroffen, die normalerweise Reisende und Urlauber transportieren. Das sehen wir bei den Nordseeinseln ebenso wie im Ostseeraum.

Wie geht es in der Containerschifffahrt?

Die deutschen Reeder sind Marktführer in der Containerschifffahrt und mit Hapag-Lloyd sitzt auch eine der großen Containerlinien in Hamburg. Aktuell werden deutlich weniger Container transportiert, rund 20% schätzungsweise. Das trifft im Volumen die Linien. Aber noch schwerer wird das in einigen Wochen die sog. Trampreeder treffen, die die Schiffe an die Linien vermieten.

Ist ein wenig Volatilität in der Nachfrage nach Schiffen nicht normal?

Volatilität ist normal – aber keinesfalls in diesem Ausmaß. So ein Event ist nicht planbar. Es trifft gerade die mittelständischen Reedereien auch deshalb schwer, weil es praktisch eine Dekade gedauert hat, um sich auch nur einigermaßen von den Folgen der Finanzkrise zu erholen. Außerdem haben wir es jetzt mit zwei schweren Effekten zu tun, die ungewöhnlich sind: zuerst ist die Produktion in China fast zum Erliegen gekommen, jetzt bricht im Westen die Nachfrage nach Gütern ein, die typischerweise mit Containern transportiert werden. Nach Kurzarbeit und – insbesondere in den USA – massiver Arbeitslosigkeit wird die Kaufkraft nur langsam zunehmen.

Geht es denn in allen Schifffahrtsmärkten schlecht?

Nein, bei den großen Öltankern haben wir gerade eine ebenso historisch außergewöhnliche Situation, die aber nur zum Teil etwas mit Corona zu tun hat: Tanker sind so gefragt wie noch nie, weil sie als Lager benutzt werden können. Die Märkte werden ja noch immer mit zu viel Öl geflutet und das muss irgendwo hin. Die Lager an Land sind schnell gefüllt. Daher zahlen Produzenten und Händler derzeit extrem viel Geld, um auf Schiffen das Öl zu lagern.

Ist das also ein Lichtblick für die deutsche Schifffahrt?

Im Gegenteil: in der deutschen Handelsflotte sind sehr wenige Tanker. Dafür betreiben die Reeder überdurchschnittlich viele sogenannte Multipurpose-Schiffe. Die werden oft eingesetzt, um bei Großbaustellen wie in der Öl- und Gasindustrie schwere Teile zu bringen. Praktisch alle Großprojekte sind jetzt erstmal auf Eis gelegt. Damit gibt es für diese Schiffe kaum noch Beschäftigung. Der niedrige Ölpreis ist also auch hier sehr schädlich.

Was kann die Schifffahrt tun, um die Nachfrage anzukurbeln?

Frachtschiffe haben eine abgeleitete Nachfrage. Das heißt, man kann die Nachfrage nicht selbst ankurbeln. Erst wenn Konsumenten wieder Waren kaufen und die Industrieproduktion wieder anläuft wird auch mehr transportiert. Nur die Fähren und Kreuzfahrtanbieter können die Nachfrage selbst ankurbeln.

Was ist denn die größte Herausforderung der Schifffahrt?

Seeleute draußen auf den Schiffen stehen vor der größten Herausforderung. Denn sie können zurzeit nicht nach Hause. Die Reiserestriktionen treffen sie hart. Die Ablösungen können nicht an Bord kommen und die, die an Bord sind, kommen nicht zurück. Man muss sich vorstellen, man sei in seinem Büro eingeschlossen und könne plötzlich für zwei Monate nicht zu seiner Familie. Die Seeleute leisten da bewundernswerte Arbeit. Ohne sie hätten wir schon längst keine Waren mehr in den Läden.

Wie sind die Aussichten für die Schifffahrt?

Die Aussichten für die nächsten 18 Monaten sind schwierig. Das GDP wird sich weltweit mindestens für 2020 nach den letzten Vorhersagen deutlich negativ entwickeln. Statt +3,3% erwarten wir jetzt -3%. Das heißt dann auch, dass sich der Welthandel zurückentwickelt. Noch extremer werden der Seehandel und der Containerhandel schrumpfen. Auch wenn sich die Prognosen fast täglich ändern: der Einbruch scheint ähnlich stark wie 2009 nach der Finanzkrise zu werden.

Was heißt das konkret?

Der Seehandel scheint um 5% zurückzugehen, der Containerhandel auf das ganze Jahr gesehen wohl um rund 10%. Pessimistische Schätzungen glauben sogar, dass 25 Millionen Container weniger transportiert werden als letzten Jahr, das wäre dann ein Rückgang von 15%. Viele Schiffe werden wahrscheinlich aufgelegt werden müssen, das heißt für einige Monate wie eine stillgelegte Fabrik heruntergefahren.

Gibt es auch positive Signale? 

Zum Glück sind nicht so viele Schiffe auf den Werften bestellt wie damals 2008, so dass sich hoffentlich schneller ein Marktgleichgewicht wieder einstellen kann. 


Wie ist der langfristige Ausblick? 

Besondere Sorgen machen mir Strömungen, die globalen Handel erschweren wollen. Isolationismus und Protektionismus zerstören Jobs und Wohlstand nicht nur bei uns, sondern gerade in ärmeren Staaten. Es ist also enorm wichtig, dass wir weiter auf internationale Zusammenarbeit setzen und damit auf Handel. In einem politischen Klima, das oft von Populisten bestimmt wird, ist es wichtig, dass wir die größeren Zusammenhänge nicht vergessen. Ohne Handel sind wir ärmer. Die gesamte deutsche Wirtschaft würde stark leiden. Wenn wir an anderen Stellen der Welt Armut erzeugen, müssen wir mit sozialen Unruhen rechnen. Diese politische Herausforderung müssen wir meistern.

Wir danken Ihnen für dieses Gespräch! 

Professor Dr. Dirk Max Johns ist Studiengangsleiter des MSc Business Development. Neben seiner aktuellen Lehr- und Forschungstätigkeit an der µÚÒ»³Ô¹Ï, war er bis August 2019 Geschäftsführer des VDR Verbands Deutscher Reeder, wo er die Interessen der deutschen Reeder in nationalen und internationalen Gremien vertrat. Nach dem Studium in Montpellier, Leuven und Tübingen lehrte Dr. Max Johns an zahlreichen Universitäten. Im Anschluss an seine umfangreiche Karriere in der Medienindustrie kehrte er in die Schifffahrtindustrie zurück.

Schwerpunkt der praktischen und Lehrtätigkeit im Medienbereich waren die Neuen Medien sowie die Organisation der Medienunternehmen. Im maritimen Bereich fokussierte sich Professor Max Johns auf die ökonomischen Implikationen von Schiffsfinanzierungen auf verschiedenen Märkten sowie auf den Einfluss der Finanzkrise auf die maritime Industrie. Seine Forschungsergebnisse veröffentlicht Johns regelmäßig in renommierten Fachzeitschriften.